Sitzen ist das neue Rauchen

Ist Sitzen wirklich so schlimm wie Rauchen? Naja, vielleicht sogar schlimmer…


Australische Forscher haben herausgefunden, dass jeder, der täglich mehr als 4 Stunden im Sitzen verbringt ein enorm viel höheres Risiko hat chronisch krank zu werden, wie es in der Ärztezeitung vom März 2013 heißt. Sitzen gilt demnach als unabhängiger Risikofaktor für Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck – auch wenn es nicht die Ursache für diese Erkrankungen ist – es trägt einen guten Teil dazu bei. (Die Studie gibt’s im International Journal of Behavioural Nutrition and Physical Activity)

Toll diese Evolution, oder nicht...?
Toll diese Evolution, oder nicht…?


Viel bekannter sind jedoch Schmerzen, die durchaus direkt auf vieles Sitzen zurückgeführt werden können. Nacken- und Schulterschmerzen, Rückenprobleme, Hüftschmerzen und der Klassiker: Probleme in der Lendenwirbelsäule sind ebenso wahrscheinlich aus der Ursache des zu häufigen Sitzens heraus geboren oder zumindest unterstützt wie Schmerzen/Probleme im Fuß-, Knie- und Hüftgelenk.
Schmerzmittel helfen zwar oft kurzfristig dabei die Probleme mal zu vergessen und sich wieder ganz auf die Arbeit zu konzentrieren, aber die Ursache bekämpfen sie niemals! Im Gegenteil: eigentlich schaffen sie noch mehr Probleme indem sie zum Beispiel die Verdauung total durcheinander bringen.
Massagen tun zwar gut, da sie die Verspannungen lösen können, aber sie adressieren ebenfalls in den wenigsten Fällen die Ursache des Schmerzes.
Und Schonung? Um Gottes Willen! :-) Nein, ernsthaft. Wirkliche Verletzungen müssen geschont und auskuriert werden. Alles andere ist schlichtweg dumm. Aber wer Probleme mit den Gelenken oder der Muskulatur bekommt, weil er sie zu wenig bewegt sollte eben nicht den Abend wiedeurm sitzend im Sofa verbringen um die armen, armen Gelenke zu schonen. Nein, Sitzen zieht an einem Strang mit Zucker, toxischen Fetten und anderen „bösen“ Lebensmitteln. Ihr Ziel? Die langsame Zerstörung unserer Körper in feinster und fieser Guerilla-Taktik. Zucker schmeckt nun mal so gut und ich muss mich ja schonen… genau! Dann wirst du noch fetter und deine Knochen noch instabiler. Diesem Teufelskreis sind keine Grenzen gesetzt! Die Knochen werden schwächer? Ja, genau richtig gelesen. Wir nennen das Wolffsches Gesetz und das besagt, dass die Knochen sich aufbauen und an Festigkeit zunehmen, wenn sie belastet werden. Ohne Belastung passiert genau das Gegenteil. Sitzen bietet nun mal nahezu keine Belastung für unseren Knochenapparat was dazu führt, dass dieser schwächer wird. Da sag ich nur: „Happy Osteoporose, Baby“! Mit schwachen Knochen verletzen wir uns natürlich schneller und häufiger, wenn wir dann mal was tun und das versuchen dann viele noch mit Calcium-(Brause-)Tabletten zu beheben. Man muss ja die Knochen aufbauen…dabei würde es ein bisschen Bewegung viel besser richten.

Aber was passiert eigentlich noch so beim Sitzen, was so schlimm ist? Im Grunde ist dieser wundervolle menschliche Körper einfach nicht dazu gemacht zu sitzen. Wir sind für den aufrechten Gang und für das Liegen geeignet. Dabei haben wir eine neutrale Wirbelsäulenstellung ( die sog. Doppelte S-Form). Das stabilisiert unseren Körper und ermöglicht unseren Triumph über die Schwerkraft. Beim Sitzen hingegen wird unser Körper in eine unnatürliche neue Position gedrängt. Oft sitzen wir dann nicht einmal aufrecht (ja, da bin ich selbst auch schuldig!) und verfallen von der schönen S-Form der Wirbelsäule in eine eklige, bucklige C-Form. Um aber trotzdem unserem Gegenüber in die Augen sehen zu können überstrecken wir dann noch schön den Kopf und halten diese Position den lieben langen Tag: im Auto auf dem Weg zur Arbeit, bei der Arbeit am Schrebtisch, in der Mittagspause beim Essen, dann wieder am Schreibtisch und schließlich Abends zu Hause auf dem Sofa. Yippie! Auf geht’s mit voller Karacho in die Schmerzspirale.

Das Upper Crossed Syndrome zeigt mit dem Sitzen und der Fehlhaltung zusammenhängende Schmerzsymptome Quelle: thepaleosecret
Das Upper Crossed Syndrome zeigt mit dem Sitzen und der Fehlhaltung zusammenhängende Schmerzsymptome
Quelle: thepaleosecret

Es ist echt erstaunlich wie viele Schmerzsymptome mit dem Sitzen in Verbindung gebracht werden: steife Hüftflexoren, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und sogar Impingement-Syndrome.
Leider können wir das Sitzen in unserer Gesellschaft nicht einfach abschaffen und ab und an tut’s ja auch mal wirklich gut. Aber wir sollten dennoch unsere Aufmerksamkeit ein wenig mehr auf unsere Körper richten und einige wenige Punkte beachten:

1) Wenn schon sitzen, dann aktiver:

Wenn wir unbedingt sitzen müssen, zum Beispiel im Büro, dann sollten wir versuchen alle 30 Minuten erst einmal ganz am vorderen Rand unserer Stuhles zu sitzen. Hier setzen wir uns erst einmal total aufrecht hin, gehen dann langsam in die fiese C-Position, also den Buckel, und dann genau in die Gegenrichtung, also eine Überstreckung der Wirbelsäule. Das machen wir 10x, um die Muskulatur zu bewegen und „zu entkleben, was durch Sitzen verklebt wurde“

2) Sich selbst beobachten und auf den Körper hören:

Ich erwische mich ständig selbst dabei, dass ich bei allen möglichen alltäglichen Situationen meine Schultern total hoch zu den Ohren ziehe. Das ist nicht nur unnötig und sieht bekloppt aus, das führt auch zu Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich. Mir fällt das oft beim Schreiben am Tisch auf aber auch beim Kochen. Genauso kann es sein, dass ich beim Autofahren das Lenkrad manchmal besonders fest umgreife und auch das führt nur zu Verspannungen, die mir das Leben unnötig schwer machen, indem es den Körper noch mehr in eine unnatürliche Position zwängt. Also beobachtet euch selbst ein wenig und versucht die kleinen Dinge zu verbessern. Übrigens eignet sich Yoga meiner Meinung nach super, um seinen Körper in diesem Bezug besser kennen zu lernen.

3) Bewegung, Bewegung, Bewegung:

Wer hätte das vermutet? Das Beste gegen „Sitzschmerzen“ ist Bewegung. Versucht über den Tag hinweg alle 45-60 Minuten mindestens 5 Minuten umherzugehen. Das hilft nicht nur ungemein gegen die bereits angesprochenen Symptome, sondern fördert auch die Kreativität und Produktivität. Von wegen die besten Ideen kommen auf dem Klo, die kommen eigentlich erst durch den Weg zum Klo! Aber Spaß beiseite, unsere Vorfahren hatten unter wesentlich weniger dieser Symptome zu leiden, da sie durchschnittlich mehrere Kilometer am Tag zu Fuß zurückgelegt haben. Heute bewegt sich der durchschnittliche Europäer weniger als 400m am Tag zu Fuß! Das kann ja nur schief gehen. Also nutze jede Gelegenheit um dich zu bewegen. Du kennst kaum welche? Wie wäre es beispielsweise mit Treppen statt Fahrstuhl oder ganz klassisch: Treppen statt Rolltreppe? Glaub mir du wirst viele Möglichkeiten entdecken

4) Muskuläre Dysbalancen ausgleichen:

Last but not least: muskuläre Dysbalancen haben wir alle – aber nur wenige gleichen sie aus. Wer viel sitzt der ist in der Regel recht zu in der vorderen Muskelkette, also Schultern, Brust und Hüftbeuger. Diese „verkürzten“ Muskeln müssen gedehnt werden – und auch hier bringt Yoga wieder unglaublich gute Resultate! Die Hauptbrennpunkte sind vor allem die Brust, die Brustwirbelsäule, die hintere Oberschenkelmuskulatur und die Hüfte und all das wird in einer guten Yoga-Stunde verbessert. Aber nur Stretching und Mobility wird uns nicht helfen. Die Mischung mit einem ausgewogenen Krafttraining, vor allem Krafttraining für die Muskulatur die uns in der aufrechten Haltung stützt, ist der Schlüssel zu einem schmerzfreien Leben. Wer also Backsquats, Overhead Presses, Klimmzüge und Deadlifts nicht auf seinem Trainingsplan findet und sich stattdessen der Vorherrschaft der Spiegel unterworfen hat, die viele Fitnessstudio-Sportler dazu bringen nur Brust, Bizeps und Bauch zu trainieren, der sollte schleunigst eine kleine Rebellion starten und einen kompetenten Trainer aufsuchen.

Auch wenn dieser Artikel wieder viel länger geworden ist als ich es eigentlich wollte (über das Thema könnte man tatsächlich ganze Bücher schreiben) hoffe ich, dass er einen kleinen Einblick in dieses große Problem geben konnte. Da immer weniger Menschen Rauchen scheint nun das Sitzen dieses gesellschaftliche Gesundheitsproblem langsam aber sicher abzulösen. Klar, wer nicht mehr mit der Lunge beschäftigt ist, der kann sich jetzt auf die Gelenke konzentrieren. Sicherlich erkennt sich jeder von uns irgendwo in diesem Artikel wieder und kann ein wenig daraus mitnehmen, was das ein oder andere Problemchen verbessern könnte. In diesem Sinne.

Finish Strong,
euer Art

P.S.: Petitionen für Stehtische in Unis und Büros an mich – ich unterschreibe gerne :-p